| Sprache, Geschlecht und nachhaltige Entwicklung –
eine disziplinübergreifende Studie am Beispiel von drei traditionellen Stammesgesellschaften
Hoffmann (1991:15) stellt im Blick auf Entwicklungsprojekte in Drittweltländern
lapidarisch fest: “... trotz Einigung von Experten und Politikern auf
einen Entwicklungsansatz und Festlegung von Projektmaßnahmen, scheitern
die Vorhaben oft am Problem der Kommunikation mit der Zielgruppe." Der
Projektvorschlag rollt die im Zitat angesprochene Frage nach der
Wirksamkeit der Kommunikation im Blick auf die naheliegende, in der
Spezialliteratur jedoch ungenügend wahrgenommene Problematik auf, [1]
die sich für die dauerhafte und praxiswirksame Vermittlung
entwicklungsrelevanter Inhalte aus der sprachlichen Fragmentierung und
der dadurch notwendigen sprachlich-diskursiven Transkodierung ergibt,
wie sie für viele der geographischen Schwerpunkte der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit etwa in Afrika und Asien typisch ist. Er ist
damit im Schnittpunkt von Fragestellungen der Sprachwissenschaft, der
Entwicklungssoziologie und der Ethnologie bzw. Genderforschung
angesiedelt und stützt sich entsprechend auf einen innovativen
interdisziplinären Forschungsansatz. Kennzeichnend für die bisherige
Thematisierung, so weit sie am Rande des auf technisch-organisatorische
Aspekte der Kommunikation fixierten Hauptinteresses überhaupt
stattfand, ist die punktuelle Fokussierung auf Probleme der
Sprachenwahl (Robinson 1996) bzw. der Terminologie (Kishindo 1987,
Mutembei et al. 2002), die bei der Vermittlung innovativer Inhalte über
Sprachgrenzen hinweg auftreten. Unberücksichtigt bleiben dabei die
sprachlich-diskursive Verarbeitung der Inhalte, die Aushandlung von
Akzeptanz, Partizipation und Akteurrollen, sowie die konzeptuelle und
argumentative Akkulturation exogener Elemente - kurz die zentrale
Rolle, die der Lokalsprache nicht nur bei der Vermittlung innovativer
Inhalte in der Startphase, sondern als wichtigstes Instrument der
sozialen und praktischen Regulierung des gesamten Umsetzungsvorgangs
zukommt. Unberücksichtigt bleibt sie deshalb auch als wichtiger Faktor
bei der Sicherung der Nachhaltigkeit.
Hier setzt der Projektvorschlag an. Materieller Gegenstand der Untersuchung
sind drei laufende bzw. anlaufende ländliche Entwicklungsprojekte in je
einer traditionellen Gesellschaft Westafrikas, Südwestafrikas und
Indonesiens. Assoziiert sind ferner je ein Projekt mit ähnlicher
Zielsetzung im ländlichen Laos und im Amazonasgebiet. Die oben
umschriebene Thematik soll im Rahmen jedes Teilprojekts über eine
Langzeitstudie entwicklungsrelevanter Kommunikationsprozesse angegangen
und im Hinblick auf deren Bedeutung für integrierte Entwicklung und
insbesondere für das Kernpostulat der Nachhaltigkeit erschlossen
werden. Die sich aus dem vergleichenden Ansatz ergebende
kulturkreisübergreifende Perspektive wiederum bildet die materielle
Grundlage für das im Endergebnis angestrebte empirisch beglaubigte
Paradigma der Wechselwirkungen zwischen Sprache und Entwicklung. Dieses
soll im handlicheren Format eines allgemeinen Rasters zur Erfassung von
nachhaltigkeitsrelevanten sprachlich-kommunikativen Variabeln –
nachhaltigkeitsrelevant im Sinne des zentralen Theorems der
kommunikativen Nachhaltigkeit als notwendiger Voraussetzung
nachhaltiger Entwicklung - bei der Planung, Durchführung und Evaluation
von Entwicklungsprojekten auch für die Praxis nutzbar gemacht werden
können. Die gesonderte Betrachtung der lexikalisch-konzeptuellen, der
argumentativ-inferentiellen und der metalinguistischen Bedingungen der
kommunikativen Nachhaltigkeit erleichtert die Analyse von – sonst oft
gar nicht als solche wahrgenommenen – Kommunikationhindernissen und
deren Ursachen, aber auch die Erarbeitung von Gegenstrategien. Die
Studie soll den Zusammenhang zwischen gezielter Nutzung
lokalsprachlicher Ressourcen und den Zielsetzungen der nachhaltigen
Entwicklung aufzeigen.
Ausgehend vom Theorem der kommunikativen Nachhaltigkeit soll im Rahmen des
Forschungsvorhabens, analog zur Theorie der
Nachhaltigkeits-Indikatoren, eine Theorie der Indikatoren
kommunikativer Nachhaltigkeit entstehen, die als Grundlage für Studien
und Anwendungen hinsichtlich der kommunikativen Effizienz und deren
Berechenbarkeit auch in anderen Bereichen als dem der
Entwicklungswissenschaften dienen kann.
Die weltweit zunehmend anerkannte Bedeutung der Frauen als Trägerinnen von
Innovationsprozessen steht in einem gewissen Widerspruch zu
traditionellen Rollenmustern, die im Denken der von diesen Prozessen
betroffenen Gesellschaften nach wie vor, wenn auch in unterschiedlicher
Ausprägung, verankert sind. Die Untersuchung der Genderrollen und
–strategien im gruppeninternen wie auch im öffentlichen Diskurs in den
betreffenden Gesellschaften orientiert sich an der Ausgangshypothese,
nach der sich dieser Widerspruch im geschlechtsspezifischen
Diskursverhalten der Frauen in einer für sie charakteristischen
Indirektheit und in gezielter Uneindeutigkeit der Rede äussert.
Das Projektvorhaben vereinigt Forschungskapazitäten unterschiedlicher
linguistischer, soziologischer und agrarentwicklungsorientierter
Spezialisierungen der Universitäten Kassel, Frankfurt, Münster und
Zürich und ihrer jeweiligen Partner in den Gastländern Indonesien,
Namibia und Côte d'Ivoire. Sein innovatives Potential liegt nicht nur
in den zu erwartenden materiellen und theoretischen Ergebnissen,
sondern auch in der Chance, die ein klar formuliertes gemeinsames
Erkenntnisziel im Hinblick auf die Erarbeitung einer
disziplinübergreifenden Methodologie bietet – diese ist denn auch
selbst Teil der in der Forschungsaufgabe enthaltenen Thematik.
Die Einbettung des Forschungsvorhabens in praxisausgerichtete
Agrarentwicklungsprojekte legt einen partizipativen Forschungsansatz
nahe, der es ermöglicht, die im Laufe des Projekts zu erarbeitenden
Hypothesen praxisnahe anzuwenden und zu testen. Damit ergibt sich eine
mit anderen Ansätzen nur längerfristig erreichbare Koppelung von
anwendungsbezogenen und theoretischen Aspekten der Hypothesen- und
Theoriebildung.
[1] Als neueres Standardwerk zur Entwicklungskommunikation ist
Melkote/Steeves (2001) in dieser Hinsicht durchaus symptomatisch. In
gewissem Sinn eine Ausnahme bildet der 1995 erschienene Sammelband von
Koné & Sy (Hrsg.). |